Stein – Wildhaus, 8. Juli 2018

Zora:
Nach sechs Jahren Pause haben wir uns entschieden, nun endlich noch den letzten Teil des Weges nachzuholen, sprich: zu gehen. Ein wenig wehmütig war ich schon. Denn wir haben vor bald 8 Jahren, als wir noch im Thurgau lebten, mit dem Bewandern des Thurwegs begonnen. Vor sechs Jahren haben wir eine Pause eingelegt, weil wir unsere Omi ins Pflegeheim begleitet und für ihr Haus geschaut haben. Mittlerweile wohnen wir in diesem Haus, Omi ist vor genau anderthalb Jahren verstorben.

Wir starten in Stein, steigen schnell in die Höhe. Bald einmal begegnen uns zwei vorwitzige Ponys, die offenbar ausgebüxt sind. Bei Starkenbach haben wir eine wunderbare Sicht auf das Obertoggenburg, und den weiten Weg, der uns noch erwartet.

Hier ist die Thur gezähmt, manchmal ist sie eilig, meistens wirkt sie still und müde. Der Weg von Starkenbach nach Alt St. Johann führt grösstenteils über Asphalt und ist langweilig, dafür rollstuhlgängig. Einzig die nahe Begegnung mit der Thur macht dieses Wegstück zu einem Höhepunkt. Die ersten Häuser Alt St. Johanns sind eine Enttäuschung. Es ist schwer zu glauben, wie ungepflegt die Gebäude sind. Die Gärten sind lieblos gestaltet. Ein wirklich hässlicher Ort, denke ich erst. Nach der Klangschmiede werden die Häuser schöner. Nun ist es wirklich ein Vergnügen, hier durchzuwandern. Wir machen einen Halt im Restaurant Schweizerhof. Die Bedienung ist sehr nett und wir geniessen die Kühle unter den Kastanienbäumen. Nebendran zerfällt ein anderes Hotel gerade in seine Einzelteile. Überall liegt Sperrmüll herum. Tourismus im Toggenburg: was läuft?

Unser Weg führt uns weiter an den Parkplätzen der Sellamatt-Bahn und der Bahn zum Chäserrugg hoch. Es scheint, als ob halb Zürich ins Toggenburg gefahren ist. Wir wandern weiter und wundern uns über nicht angeleinte Hunde, die sich gegenseitig versuchen zu zerfleischen. Das Gefluche der Hundehalter hallt nach. Selber tschuld, denke ich.

Dann steigen wir weiter auf in Richtung Wildhaus und noch einmal wird es richtig steil. Wir wandern hoch über der Thur. Die Aussicht ist grandios. Das letzte Wegstück führt uns bis ganz runter, auf eine Brücke über die Thur. Es ist geschafft. Wir sind am Anfang angekommen.

Sascha:
Endlich kamen wir dazu, den Thurweg weiter zu begehen. Wir haben einen heißen Frühsommertag erwischt, die vielen Waldabschnitte zwischen Stein (SG) und Wildhaus kamen also sehr gelegen. Die Tour beginnt eindrücklich und in mehrfachem Sinn atemberaubend – der Aufstieg bei Starkenbach ist HART, besonders, wenn man wegen gewissen Blessuren gerade nicht so doll zu Fuß ist. Aber die Aussicht mag zu begeistern. Einfach nur wow, wie man den Hügel hochklettert und an der Spitze mit dem Blick übers Hochtal belohnt wird.

Wie auch Zora haben mich die ganzen anschließenden Asphaltwege bis Alt St.Johann ziemlich genervt. Ich fühlte mich an unsere Wattwiler-Tour zurückerinnert. Schade. Der Weg führt mitten durch ein (Ferien-)Wohnquartier, incl. Verkehr. Müsste auch nicht sein. Sooo klein ist das Hochtal nun auch wieder nicht.

Der letzte Abschnitt nach Wildhaus ist wieder eher hügelig-rural gehalten. Nicht wirklich anspruchsvoll, aber anstrengend. Dann aber den Anfang der Thur zu sehen (soweit das möglich ist) ist die Mühe wert. Dass das Postauto selbst an einem Sonntag im Halbstundentakt zurück nach Stein oder gar Wattwil fährt, ist ein netter Bonus.

Märstetten – Weinfelden, 27. Dezember 2010.

Zora:
Am 27. Dezember schliesslich setzen wir unsere Wanderung fort. Es war kalt und hatte geschneit. Ich berichtige: Es war verflucht scheisskalt und wir bibberten wie die Weltmeister. Trotz alledem gehört dieser Abschnitt zu meinen liebsten. Nie sah ich die Thur lebendiger inmitten der gefrorenen Bäume und Pflanzen. Manchmal dampfte sie sogar. Als wir nach einem langen, geraden Stück in die Nähe von Weinfelden kamen, konnten wir sogar Eisstücke treiben sehen. Wir kamen uns vor wie am Nordpol.

Wir marschierten durch kalte, kahle Waldstücke. Plötzlich hielt ich inne. Ein Paar Augen blickte mich an. Sehr durchdringend, wie ein Gemälde. Ich blieb stehen und blickte zurück. Nach einer halben Minute trabte das Reh weg und ich wandelte wie verzaubert weiter.

Sascha:
Es war, man entschuldige meine Ausdrucksweise, arschkalt. Ich hatte Frost im Schnauzbart, meine Finger waren taub, außer die Gelenke, die brannten rot vor sich hin und verlangten nach schmerztechnischer Aufmerksamkeit. Aber es hat sich gelohnt! Klare Luft, extreme Weitsicht bis zum Säntis und, wären da keine Berge im Weg gewesen, darüber hinaus. Das Knirschen des Firns unter den Wanderschuhen. Keine Kamikaze-Traktoren, nur wenige Hündeler (und die ausgesprochen freundlich) und eine ganz eigenartige Stille.

Die Route wechselte zwischen schnurgerade-der-Thur-entlang und Waldabschnitten, dann wieder Thur-Wehr, dann plötzlich ein Elektrizitätswerk, dann Ebene … Abwechslungsreich, und mehr als einmal fragten wir uns bei militärischen und industriellen Installationen: Was zum Geier ist das? Die Polar-Atmosphäre machte die Situation nur wenig surrealer, als sie eigentlich ist.

Felben-Wellhausen – Märstetten, 4.Oktober 2010

Heute also haben wir unsere erste Etappe des Thurwegs gestartet. Felben-Wellhausen ist ein Dorf, das eigentlich aus zwei Dörfern besteht und in früheren Zeiten oft von der Thur überschwemmt wurde. Das mag auch der Grund sein, warum es so weit entfernt des Flusses liegt. Der regionale Bäcker, der wunderbare Sandwiches macht, führt deshalb einen Verkaufswagen, der immer gut besucht ist. Wir haben Glück und marschieren zufrieden weiter.Wir überqueren die Autobahn, wo um diese Zeit noch nicht viel los ist. Überhaupt ist die ganze Gegend sehr ruhig. Irgendwo im versteckten schlafen jetzt die Biber. Die haben sogar einen eigenen Pfad, was sie aber nicht gross zu kratzen scheint.

Noch ist es etwas neblig. Schnell aber scheint die Sonne durch die Schwaden und die Thur, auch „die Fliessende“ genannt, zeigt sich im besten Licht. Wir laufen in Richtung Osten, wenige hundert Meter vom Fluss entfernt in den Auenwäldern. Die Wege sind mehrheitlich natürlich und das Wetter wird immer besser. Auf den Thurwiesen treffen wir Unmengen von Kühen, Bauern und ab und zu ein flüchtendes Reh an.

Der Thurweg im Kanton Thurgau zeichnet sich dadurch aus, dass seit 2003, zum 200sten Geburtstag, 48 Tafeln auf dem Weg auf Besonderheiten hinweisen

Die Autobahn verläuft lange neben der Thur. Bei Müllheim unterqueren wir sie schliesslich. Ein unheimliches Gefühl. So viel Beton mitten in der Natur!! Kurz vor Eschikofen überqueren wir die alte Eisenbahnbrücke. Ein tolles Erlebnis! Die alte Holzbrücke bei Eschikofen fasziniert uns: seit sie vor ein paar Jahren renoviert wurde, strahlt sie in alter Frische. Wir setzen uns im Schatten einer alten Linde hin und essen unser Sandwich. Bis und mit Märstetten gehts dann schnurgeradeaus vorbei an Maisfeldern und quäkenden Enten.

Unser Fazit: kilometerlang geradeauslaufen hat schon seinen Reiz. Besonders im Frühherbst!

Sascha:
Ich kenne Felben-Wellhausen mittlerweile recht gut, wohne ich doch bereits zwei Jahre hier. Die Leute geben sich offenbar viel Mühe, die Wanderwege instand zu halten. Zumindest den Thurweg, über den Biberlehrpfad auf der Felbener Seite breite ich den kotzenden Mantel des Schweigens. (Pfyn hat Lehrpfade offensichtlich besser im Griff.) Item, der Thurweg hält sich auf dieser Strecke ans Lineal, als Vorbild. Aber die vielen interessanten Info-Tafeln lockern die Eintönigkeit gekonnt auf. Man spürt richtiggehend: Hier war mal alles ganz anders. Hier mussten Bauern um ihre Rinder fürchten, wenn Madame Thur die Galle beziehungsweise das Wasser zum Hals stand. Kein Wunder, dass der Thurweg sich zu großen Teilen an die Wälle klammert – relativ sicher; relativ, da immer wieder „Biber könnten hier einen Bau haben, Einsturzgefahr, keine Traktoren!“-Schilder vorgefunden werden. Der Auenwald bietet einen netten Kontrast, hier scheint die Natur noch in Ordnung, schweres landwirtschaftliches Gefährt ist nicht einfach unerwünscht. Nein, die Menschen halten sich sogar an die Empfehlung!

Wir treffen eine Radfahrerin, die nach Frauenfeld will. Ich empfand die Beschilderung als eindeutig und verstand ihre Frage zuerst nicht. Dann merkte ich: Der Thurweg ist an dieser Stelle ausgearbeitet wie einer dieser Radwanderwege, die knapp daneben verlaufen. Verwirrung ist für Fremde naheliegend. Sie dankte in Holländisch, und ich frage mich, ob es nicht doch eher niederländisch heißen sollte.